Friday, October 20, 2006

Von der Autobahninstandsetzung

Was hat eine Lebenserwartung von 20 Jahren, ist 14 Kilometer lang und immer eine Spur zu breit?
Eine Autobahnbaustelle.
Eine jener Autobahnbaustellen, die unser heimatliches Fernstraßennetz überziehen, wie Geschwüre den Körper eines Pestkranken. Und wen diese übertrieben dramatische Analogie nicht beeindruckt, der lässt sich hoffentlich durch die folgende Statistik überzeugen:
auf einen Kilometer uneingeschränkt befahrbarer Autobahn kommen heutzutage 1,4 Kilometer Autobahnbaustellen. Dazu 300 Meter Geschwindigkeitsbeschränkung vor und nach diesen Baustellen, 80 Meter Stau aufgrund dieser Baustellen und 2 Geisterfahrer, die kurz vor der Baustelle entnervt umgedreht haben. Und wenn ich mir diese Zahlen vollständig aus den Fingern gesogen habe, so liegt das nur daran, dass mich die baustellenbedingte Verspätung bei meiner letzten Ausfahrt die Zeit gekostet hat, die ich ansonsten für ernsthafte Untersuchungen geopfert hätte.

Die typische Fahrt auf einer heimischen Autobahn läuft in etwa folgendermaßen ab: man quält sich durch den innerstädtischen Verkehr zur Autobahnauffahrt, kriecht im zweiten Gang durch einen überteuerten Tunnel, um den bußgeldlüsternen Messgeräten der Section Control (cool für "Abschnittskontrolle") zu entgehen, zermalmt während der zähneknirschend ertragenen Passage durch die stadtnahe Tempo-100-Zone seine Eckzähne zu Knochenmehl und erreicht schließlich mit Tränen in den Augen jenen Teil der Autobahn, der durchs von überteuerten Lärmschutzwänden abgeschirmte freie Feld führt und daher auch solche Fahrt gestatten sollte. Hier aber hat Gott in Gestalt der Asfinag die erste Autobahnbaustelle hinerschaffen. Noch ehe man seinen Wagen, Laster oder Organspenderofen auf 149 Stundenkilometer hochgefahren hat, eilen einem in rascher Folge zwei Schilder entgegen, die die erlaubte Höchstgeschwindigkeit zuerst auf deren 100, danach auf bloße 80 reduzieren. Kurz darauf senkt sich ein Schleier über unsere Augen und ein Sechziger über den Tachometer. Orange Streifen ersetzen das vertraute Weiß und leiten uns in einer eleganten Kurve auf die betonbegrenzte Nebenfahrbahn. Ein weiteres Schild tröstet uns mit der Frohbotschaft, dass wir uns auf 28 dergestalt eingeschränkte Kilometer freuen dürfen. Schuldgefühle mag folgender Hinweis verursachen: "Wir bauen für Sie!".

Wo aber baut man für uns? Der gesperrte Autobahnabschnitt präsentiert sich den gequält vorbeituckernden Verkehrsteilnehmern nämlich meist als jungfräulich unberührt. Da fehelen Maschinen ebenso wie Menschen, nur alle paar hundert Meter hat man vorsorglich eine Schaufel platziert, um die perfekte Illusion eines Arbeitsvorganges aufrecht zu erhalten. Wenn sich die für die Reparaturarbeiten veranschlagten Jahrzehnte dann dem Ende zuneigen kommt ein altes Männchen mit spitzem Hut vorbei und bläst eine Handvoll Sand über den verwaisten Asphalt, womit die Autobahn per definitionem repariert ist. Jedenfalls ist das noch der vernünftigste Erklärungsversuch.
Ganz selten, und nur wenn man zum Beispiel im Zuge einer Geburt am Sonntag mit besonderem Glück gesegnet ist, passiert man beim Durchfahren einer Autobahnbaustelle ein Stück, an dem auch tatsächlich gearbeitet wird. Dieses Stück ist typischerweise vierzig Meter lang und beinhaltet einen Bagger, acht Arbeiter, 30 rot-weiß-gestreifte Hütchen, sowie eine mobile Toilette. Somit erklärt sich auch die gewöhnliche Länge einer Autobahnbaustelle, denn wenn der Verkehr nicht 15 Kilometer vor den eigentlichen Arbeiten umgeleitet und entschleunigt würde, bestünde ernsthafte Gefahr, dass einem Arbeiter durch den nur langsam abflauenden Fahrtwind ein Sandkorn ins Aug geblasen würde. Die 15 gesperrten Kilometer hinter den Reparaturvorgängen ergeben sich wohl aus Gründen der Symmetrie.

Weshalb aber tut man uns all dies an? Warum brauchen wir überhaupt Autobahnbaustellen?
Es wäre doch viel einfacher, eine Autobahn zu benützen, bis diese durchgefahren ist. Im Anschluss oder idealerweise wenn schon absehbar ist, dass die alte Trasse nicht mehr lange hält, baut man 30 Meter weiter rechts die nächste, anstatt sich mit einer aufwändigen und anstrengenden Instandsetzung der alten Verbindung zu belasten. Dieses System, das auch bei Freundschaften und Liebesbeziehungen effiziente Anwendung findet, garantiert ungestörte Fahrt in stressfreiem Ambiente.