Wednesday, January 31, 2007

München. Opfer der Winde. [Teil 1]

Was sich liebt, das neckt sich. Du liebst Gott, den Herrn, und Gott, der Herr, liebt dich, aber du drehst zuhause das Kruzifix auf den Kopf und badest Hostien in Schwineblut und Gott, der Herr, schickt dir einen Orkan. Während aber du in deiner Katakombe hockst und hoffst, dass dir der Wind nicht die Schindeln vom Dachstuhl weht, trifft die wahre Katastrophe Unschuldige Dritte. Dritte wie mich, denn ich bin ein Kind des Glücks, wurde vor über 22 Jahren an einem Sonntag geboren, mit einem Silberlöffel im Mund, einem Hufeisen in der Hand und einem vierblättrigen Kleeblatt zwischen den Arschbacken. Ich wuchs heran, lebte, liebte und litt und fuhr am 18. Jänner 2007 zu einem Vorstellungsgespräch nach München, ungeachtet der Warnungen vor der Rache des Luftdrucks im SAT.1 Frühstücksfernsehen, meiner Lieblingssendung zum Thema Frühstück.

München, Stadt der blutigen Herzen, 17:30 - selbstzufrieden und mit einem adretten Anzug nebst verknoteter Krawatte angetan erreiche ich den Hauptbahnhof. Es herrscht apokalyptische Stimmung, denn die Züge nach Rosenheim sind schon ausgefallen. Auf dem Weg zum Service Point der Deutschen Bahn begegnen mir allenthalben erbärmliche Gestalten ohne Hoffnung und Anschluss. In ihren Augen tanzt die Zukunftsangst Kasatschok, doch ich stosse sie beiseite, warte fünf Minuten beim Service Point und angle mir das nächstbesten Auskunftsorgan. Wie sieht es mit dem EuroCity nach Zürich um 18:34 aus? Keine Störungen gemeldet, entgegnet mir das Organ. Ausgezeichnet!

Ich verbringe die Folgestunde mit dem Inanspruchnehmen der reichhaltigen und erstaunlich günstigen Verpflegungspalette des Münchner Hauptbahnhofs, kaufe im nahegelegenen Kaufhaus Hertie eine Flasche Mineralwassers und werde von der Kassierin schief beäugt. Pünktlich um 18:34 rollt mein EuroCity mit mir an Bord aus dem stählernen Bahnhofspansen. Nächster fahrplanmässiger Halt ist Buchloe, eine einsame Bastion in der gesetzlosen Bayrischen Prärie, die wir in einer Dreiviertelstunde erreichen sollten. Genug Zeit, mich zurückzulehnen und noch einmal "Franz von Papen liest die Vita Sancti Severini" auf meinem MP3-Spieler anzuhören. Eine Durchsage über die Lautsprecher des Zugs lässt mich hochschrecken. Sehr geehrte Fahrgäste, aufgrund des Sturm fährt dieser EuroCity nur bis Puchheim. Was soll das? Ich bedrohe einen Zugbegleiter mit meinem Teppichmesser, aber mehr Informationen als dass es fürs erste nicht weitergeht hat er auch nicht. Der Zug fährt in den nächsten Bahnhof ein. Ich überlege, ob ich von Puchheim nach St. Gallen laufen kann, aber wie sich herausstellt handelt es sich um einen Vorort von München. Verfolgt mich diese Stadt etwa? Die Informationslage bessert sich nicht, da alle Züge deutschlandweit angehalten wurden und jetzt am Münchner Hauptbahnhof Rückfrage halten wollen. Der Zugbegleiter vermutet, wir würden die Nacht im EuroCity verbringen müssen - eine wenig ansprechende Aussicht. Ich schwinge mich in die S-Bahn auf Gleis 2 und fahre zurück zum Hauptbahnhof. Mein durchtriebener Plan: in einem Münchner Hotelzimmer die Nacht der jähen Toten lebend und vor allem bequem überstehen. Leider bin ich nicht der einzige mit kreativem Potenzial - die Hotels der Münchner Innenstadt sind angefüllt wie mein lieber Freund Franz zu Silvester. Ich stehe eine halbe Stunde in der Schlange vor dem Service Point, nur um zu erfahren, dass sich die Definition "Innenstadt" auf die ganze Stadt bezieht. Das Organ meint, es habe eine Adresse von einem Geheimgasthof in Weissenweitdraussenkirchen, aber der sei zu Fuss vier Stunden entfernt. Es könne jedoch anrufen und vorreservieren. Das Organ ruft an, aber die Innenstadt hat das flache Land bereits erreicht.

Vom Schicksal kaltgeschleudert, möchte ich mich einen Moment setzen und die Lage überschlagen. Der Plan scheitert im Anfangsstadium, denn auf dem Münchner Hauptbahnhof gibt es keine Sitzgelegenheiten. Bänke fehlen komplett, andere horizontale Flächen sind vorsorglich mit einem "Kein Sitzplatz!" gekennzeichnet. Nach einigem Warten wird ein Platz an einem Geländer frei, gegen das ich mich erleichtert lehne. Wen kenne ich in München? Wem könnte ich mit meiner Gastgeberfreundschaft die Nacht versüssen? Ich muss feststellen, dass ich niemanden in München kenne.Das soll eine Grossstadt sein? Ich weite mein Suchraster auf ganz Bayern aus. Bea und Stefan in Würzburg fallen mir ein - wie weit ist Würzburg entfernt? Kann man es zu Fuss erreichen? Ich möchte das Organ fragen, aber die Schlange vor dem Service Point reicht bereits bis zum Eingang des Bahnhofs zurück. Draussen beginnt der Orkan, sich auszutoben.
Fortsetzung folgt?