Wednesday, November 22, 2006

Vom Heben von Zitatenschätzen

Wenn ein guter Freund stirbt, stirbt auch ein Teil von uns. Wenn wir dagegen selbst sterben, krepieren alle unsere Teile, einschliesslich des Ganzen, das bekanntlich mehr als deren Summe ist. Seit jeher machen wir Menschen uns daher Gedanken, wie um alles in der Welt wir uns selbst zumindest um ein paar Jahre überleben und sicherstellen können, dass man sich auch dann noch unser erinnert, wenn die lieben Erben dereinst ihre Anteile an unserem Vermögen verprasst haben. Die meisten Strategien, die sich mit der Schaffung der eigenen Unvergesslichkeit beschäftigen, beinhalten das Wort "viel". Man kann viele Kinder zeugen, viele Häuser bauen oder viele Mitmenschen massakrieren (wenn nicht gerade Krieg herrscht, in welchem Fall es leider nicht weiter auffallen dürfte). Man kann jedoch auch ganz einfach viel reden und es - falls Zeit bleibt - aufschreiben. Die Chancen stehen gut, dass man in den Genuss der Ehre kommt, zitiert zu werden. Ja, in Zitaten werden wir alle einst fortleben, vor allem ich.

Prinzipiell gibt es zwei Gruppen von Zitaten. Die erste stellen die wissenschaftlichen Zitate, die vor allem von Studenten mit einer Leidenschaft verabscheut werden, welche an religiöse Überzeugung grenzt. Mehrere Gründe zeichnen hierfür verantwortlich, vor allem aber die sogenannte Zitierweise. Denn nimmer genügt es, Worte aus fremder Feder einfach in Anführungszeichen gesetzt und mit den Initialen des Autors versehen zu übernehmen, nein, eine ganze Heerschar von Regeln ist zu berücksichtigen, will man sich nicht den Zorn des für die Korrektur der Seminararbeit zuständigen Dozenten zuziehen, Herr Dr. Hoffmann, oder? Der vollständige Name des Autors, der Taufname des betreffenden Buches, dessen Erscheinungsjahr, Gewicht und Nebeneinkünfte. Seitenzahlen und -abstände und Punkte in eckigen Klammern. Ein korrektes Zitat gleicht einer Krankenakte.

Darüberhinaus muss der Student sämtliche Gedanken, die angeblich nicht seine eigenen sind in Form von Zitaten ausdrücken - eine Unverschämtheit, denn was kann ich dafür, dass jemand namens Fisher einige Jahrzehnte vor meiner Zeit zufällig auch schon darauf gekommen ist, dass bei vollständig funktionierenden Kapitalmärkten Investitionsentscheide unabhängig von den subjektiven Konsumwünschen getroffen werden und ich nur deshalb in meiner Arbeit nicht mehr von der "Gattringer-Separation" sprechen darf ohne ein Disziplinarverfahren zu riskieren. Es ist nicht meine Schuld, dass dieser Fisher mit seinen mathematischenTaschenspielertricks zu den gleichen Ergebnissen gekommen ist, wie ich mit meinem brillianten Hirn und einem Buch über Finanzmathematik. Besonders ärgerlich ist dieses Verbot in "weichen" Fächern wie Philosophie, bei denen es ohnehin nur darum geht, dem Dozenten zu beweisen, dass man zu genial für seine armselige Themenstellung ist.

Die zweite grosse Gruppe von Zitaten tummelt sich auf den letzten Seiten heimischer Printmedien. Es handelt sich um besonders kluge, aber wissenschaftlich irrelevante Aussprüche von Leuten, die wir heute gemeinhin für besonders klug, aber irrelevant halten. Besonders hoch ist ihre Dichte in den Wochenendbeilagen, denn am Wochenende bedürfen wir nach dem Credo der Printmedienschaffenden speziell vieler weiser Worte von Claudius Gothicus ("Hebe nie beide Füsse gegen deinen Feind oder du fällst um.") bis Puff Daddy ("Yo!"). In seltenen Fällen ziehen die Redakteure, die aufs interne Abstellgleis des "Verantwortlichen für die Bunte Seite" gerollt wurden, die unterste Schublade des Zitatenschatzes und lassen Konfuzius aus seiner Gruft, denn alles, was ein Chinese gesagt hat, muss nun wirklich etwas besonders kluges sein. Überhaupt sind uns diese Chinesen über, jedenfalls die, die sich in meiner Fantasie herumtreiben. Auf den bitteren Boden der Realität holte mich erst eine Gruppenarbeit zurück, bei der der mir zugeteilte Gelbling kläglich versagte. Dabei trug er sogar ein Brille, kruzifix! Konfuzius sagt dazu: "Es ist kein Zeichen von Schwäche, von einer Strassenbahn überrollt zu werden."

Wichtiger als ihr Inhalt, ist aber die Gesamtzahl der abgedruckten Zitate. Sie gibt Auskunft über die wirtschaftliche Situation des jeweiligen Blattes, denn Zitate sind nichts anderes als Füllstoff für nicht verkaufte Anzeigenvolumen. Je geistreicher die Aussprüche, desto maroder die Zeitung (sog. "Gattringer-Separation"). Insofern dürften die Gemeindenachrichten von Walding im oberösterreichischen Mühlviertel der Welt defizitärstes Blatt sein, denn sie bestehen praktisch nur aus Zitaten. Selbst die Artikel bestehen aus Zitaten, denn, wenn unserem Bürgermeister schon die Worte fehlen, findet sie vielleicht Pablo Neruda.

Anstelle eines vernünftigen Abschlusses:

"Der Fluch des regen Geistes ist es, sich in Trivialitäten zu ergehen und durch das Verfassen unspektakulärer Blogeinträge eigene wie fremde Zeit nutzlos zu vergeuden."

(P. I. Tschaikowski)

2 comments:

Walter Gatterer said...

ich habe schon besseres von mir gelesen ...

Anonymous said...

ich kenne die werke von pablo neruda!