Unsere Kultur steht an der Schwelle zum Untergang und Schuld tragen einzig und allein die Billigfluglinien. Eines vorweg: ich habe nichts gegen die Globalisierung. Sie sorgt dafür, dass mich die Schuhe an meinen Füßen kein zwanzig Euro kosten und dass sich Millionen Chinesen lieber in stickigen Fabriken zu Tode schinden, als einen langen Marsch vor meine Haustür anzutreten. Was meinen Unmut erregt sind die Wegbereiter der Globalisierung, insbesondere Fracht- und Transportunternehmen. Wir wollen unterscheiden: ich bin kein erklärter Feind von Reedereien, auch wenn ich mir keine Maersk-Aktie um 10.000 Euro leisten kann. Sogar Speditionen kann ich tolerieren, immerhin lebe ich nicht im Unterinntal. Lediglich Fluglinien treiben mir die Zornesröte ins Gesicht. Warum? Das kann niemand sagen, nicht einmal der Richter, der mich letztes Jahr wegen versuchter Inbrandsetzung eines Jumbo-Jets verurteilt hat.
Als kleines Kind bin ich stets gern geflogen. Genau genommen bin ich als kleines Kind zweimal geflogen, nämlich nach Kreta und zurück. Danach wollten meine Eltern kein Flugzeug mehr mit mir teilen und ich blieb am Boden. Zum zweiten Mal in meinem Leben kletterte ich in Mitte der 90er ins Cockpit (und wurde zurück in die Economy Class verwiesen). Anlass und Ziel der Reise sind mir unbekannt, aber schon damals merkte ich, dass ich und die Fluggesellschaft keine besten Freunde werden würden. Wir waren einfach zu verschieden: sie hatte eine Luftflotte und ich noch keine Schambehaarung. Vollends brach mein Widerwillen aus, als nach der Jahrtausendwende die Billigfluglinien an Boden gewannen. Schon das Konzept war mir suspekt. Natürlich, man zahlte deutlich weniger für seinen Flug, aber muss ich betonen, dass ich anhin komplett gratis geflogen war, nämlich als Gast meiner Eltern? Das plötzliche Ende von deren Großzügigkeit und das Ausdembodenschießen dubioser Lufttransportfirmen konnten kein Zufall gewesen sein. Mein Vertrauen in Gott und die Welt war erschüttert. Ich war stets ein schüchternes Kind gewesen, aber nun zog ich mich vollkommen zurück. Ich verbrachte Tage und Nächte am Fenster und führte Buch über Zahl, Farbe und Dicke der Kondensstreifen, die den Himmel über unserem Haus durchkreuzten wie Narben der Wunden, die der billige Flug meiner Seele geschlagen hatte. Etwa um die selbe Zeit stürzten die Türme des World Trade Centers unter andauerndem Flugzeugbeschuss in sich zusammen. Kreidebleich verfolgte ich die Bilder vor dem elterlichen Fernseher. Immerhin dessen Benützung war mir noch gebührenfrei gestattet. Ein Gedanke ließ mich nicht mehr los: WTC … CWG … wie knapp war ich dem Tod von der Schippe gesprungen? Die nächsten Wochen verbrachte ich im Keller. Meine Freunde wandten sich von mir ab und flogen günstig nach London, Lissabon und Kopenhagen. Anfang 2002 konnte ich mich überwinden, die Kellertreppe hochzusteigen. Ich verließ das Haus mit Sonnenbrille und falschem Bart und trat den Weg aufs Gemeindeamt an, um eine neue Idntität anzunehmen.
Mit meinem neuen, auf den Namen Costa Potente lautenden Pass buchte ich von einem maltesischen Internetkaffee aus einen Platz auf einem Ryanair-Flug von Bremen nach Riga. Kenne den Feind, sagt schon Konfuzius. Konfuzius sagt viele Dinge, dachte ich mir am Tag des Abflugs und hätte vor Angsträmpfen beinahe nicht das Bett verlassen. Ich riss mich zusammen. Der Bremer Flughafen ist sauber und modern, bis auf den Teil, von dem aus Ryanair die Verdammten in alle Höllen dieser Welt katapultiert. Ich fühlte mich wie in einem IKEA-Möbelhaus, mit ähnlich hoher Inzidenz von Blau, schreienden Kleinkindern, und Gelb. „Willkommen, Herr Potente!“ sagte der Transvestit am Gate. Meine Verkleidung hielt. Ich konnte ruhiger atmen. Es zeigte sich bald, dass meine frühere Flugerfahrung hier von geringem Wert war. Oben war unten, gestern war links und statt in einer Schlage stellte man sich in einer pulsierenden Traube zum Boarding an. Blessiert, aber lebend gelangte ich an Bord des altersschwachen Fliegers. Bei Ryanair herrschte das Prinzip einer freien Sitzplatzwahl.und so wählte ich den einen Sitzplatz, der noch frei war. Ich sank in die Bestuhlung, während sich im Gang die Leute auf den Stehplätzen um die Haltegriffe zu streiten begannen. Der Flieger hob ab. Ich hatte es geschafft. Nun würde mich nicht einmal Easyjet aufhalten können. Die letzten Gebäude des Bremer Elbhafens verschwanden in der Nebeldecke und die letzten Reste meines Frühstück verschwanden in meinem Zwöffingerdarm. Mein Magen knurrte. Nach einer Stunde wurde der Hunger übermächtig. Ich blickte vor und zurück. Dunkel meinte ich mich an einen Handwagen oder eine Art große magische Truhe erinnern zu können, die den Mittelkorridor hinauf- und hinunterschwebte, Essen von kunststoffartiger Konsistenz in Plastikschalen verteilend. Aber – ach! – die Rettung blieb aus. Ich schrie. Ich tobte. Ich brach zusammen und verbarg meinen ausgemergelten Körper unter dem Vordersitz, was möglich war, da ich mein Handgepäck in den Fächern unter der Kabinendecke verstaut hatte. Meine zitternde Hand streifte ein laminiertes Pappschild. Das Bordmenü. Mein Blick fiel auf die Preise und meine Augen weiteten sich schreckerfüllt. Das also war es. Nimmer war ich unerkannt an Bord gegangen – die Billigflieger hatten mir eine Falle gestellt und ich war ihnen wie ein blindes Huhn vors Schlachtmesser gelaufen. Und jetzt: Geld oder Leben! Vor meinen Augen begann sich das Flugzeuginnere zu drehen. Ich fühlte meine Beine nicht mehr. Mein Körper begann bereits, sich selbst zu verdauen. „Ich bin zu jung zum Sterben!“, rief ich mit schwindender Kraft. Dann wurde mir schwarz vor Augen.
Den Aussagen meiner Mitreisenden entnehme ich folgendes Bild über den Rest des Fluges: ein Erzengel stieg aus den himmlischen Sphären herab und ergriff von meinem Körper Besitz. Er führte meine Hand an mein Portmonnaie und ließ mich ein Sandwich von mittlerer Größe ordern. Wäre ich der Tschad gewesen, der Preis hätte alle Fortschritte im Zuge des Entschuldungsprogramms für die ärmsten Staaten der Welt zunichte gemacht. In Riga verließ ich den Flieger. Ich lebte, aber ich hatte nur noch die Kleider, die ich am Leibe trug. Costa Potentes weltumspannendes Imperium fensterloser Kellerräume gehörte nun Ryanair. Ich zuckte die Schultern und ließ mich Lettland nieder. Später brachte ich es bis zum Ministerpräsidenten, doch die Erinnerung an jenen schicksalhaften Flug ließ mich zeit meines Lebens nicht mehr los. Es ist eine traurige Geschichte, aber ich musste sie erleben, um sie erzählen zu können.
Monday, February 04, 2008
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